Der Frosch mit der Brille hat mich aufgefordert, für einige Zeit seinen Platz einzunehmen, da, wie er sagte, der Frosch zu schweigen hat, wenn der Mensch gefragt ist. Ich werde seinem Ansinnen, so gut es geht, Folge leisten. Mit kurzen Beiträgen, die – solange ich das schaffe – dienstags, freitags und sonntags, um 17h erscheinen werden. Tom F. Lange, im April 2020

Tag 44: Alu-Hut auf?

Als das Internet noch in seinen Windeln lag, stürzten die Server beinahe ebenso oft ab, wie erstere einen Wechsel brauchen. Die Fehlermeldung eines österreichischen Providers dazu lautete: »Es ist nie ganz richtig, etwas für ganz falsch zu halten.«
Aus der Sicht der Logik kann man die Bekämpfung einer Seuche in vier Kategorien unterteilen: Man kann a) aus den falschen Gründen das Falsche machen, b) aus den falschen Gründen das Richtige machen, c) aus den richtigen Gründen das Falsche machen und d) aus den richtigen Gründen das Richtige machen.
a) Wie man aus den falschen Gründen das Falsche macht, zeigt das Beispiel des pharmakos aus der griechischen Antike, besser bekannt als Sündenbock. In antiken Städten brachen Seuchen meistens im Sommer aus. So man sich nicht absolut sicher war, dass man gerade einen anderen Gott beleidigt hatte, wurde von Apollon als Verursacher ausgegangen, der seine giftigen Pfeile, die Sonnenstrahlen, ja schon auf das Heer der Griechen vor Troja abgeschossen hatte.[1] Also suchte man sich einen Menschen, der diesen Zorn auf sich zu nehmen hatte und, mit den Sünden der Menschen beladen, aus der Stadt verjagt, möglicherweise auch erschlagen wurde.[2] »Gewirkt« hat es zuweilen trotzdem. Aus bloßem Zufall, oder, häufiger, weil  zwischen der Wahl des pharmakos und seiner Austreibung zu einem bestimmten Festtag genügend Zeit verstrichen war. Denn im Spätsommer oder Herbst kamen die Seuchen meist von selbst zum Erliegen.
Damals wusste man es nicht besser, heute könnte man es besser wissen, muss man aber nicht. Man kann sich auch einen Alu-Hut aufsetzen, um »frei denken« zu können, wie eine folienbehütete Frau anläßlich einer »Anti-Corona« Demonstration in Wien erklärte,[3]oder mit Bleichmittel gurgeln, weil man Donald Trump glaubt.[4]
b) Aus den falschen Gründen das Richtige machte man jahrhundertelang bei der Bekämpfung von Krankheiten, die durch Stechmücken übertragen werden. Vom Übertragungsweg hatte man keine Ahnung; das »Wechselfieber«, später Malaria genannt, erklärte man sich mit den giftigen Ausdünstungen, der mal’aria, der schlechten Luft, wie sie aus Sümpfen emporstieg. Also legte man die Sümpfe trocken, beseitigte die »giftigen Miasmen« und besiegte damit das »Wechselfieber«.
Zu c) und d): Die WHO erklärte letzten Sonntag, dass eine Immunisierung der vom Coronavirus Genesenen bislang nicht bewiesen ist;[5] ob Kinder weniger gefährdet sind oder nicht, wird derzeit intensiv diskutiert, aber gerade erst erforscht, etc. Das heißt, ob wir derzeit aus den richtigen Gründen das Falsche oder das Richtige machen, werden wir mit letzter Sicherheit erst in Monaten oder Jahren wissen. Markige Sprüche in die eine oder andere Richtung ändern daran gar nichts.
Seit neuestem begegne ich immer mehr Menschen, die sich offenbar selbst immunisiert haben, fraglich ist nur, wogegen. Zu zweit oder zu dritt latschen sie nebeneinander auf dem Gehsteig auf mich zu (in einer Ignoranz, wie ich sie sonst nur von Feuilleton-RedakteurInnen kenne), ganz so, als ob weder das Virus noch ich existent wären. Vielleicht hat die Frau mit der Alufolie am Kopf doch irgendwie recht. Es ist nie ganz richtig, etwas für ganz falsch zu halten: Mit so einem schicken Alu-Hut am Schädel kommt mir garantiert niemand mehr zu nahe!

© Tom F. Lange, 2020


[1] Homer. Ilias, I, 43 ff.

[2] Die rituelle Tötung des pharmakos ist umstritten. Siehe dazu: Dennis D. Hughes. Human Sacrifice in Ancient Greece. Routledge, Oxon 1991. Digital Reprint 2006. The Pharmakos and related Rites, S.139 ff.

[3] Mit Aluhut gegen Corona und die Regierung. www.derstandard.at, 26.4.2020, 09:51 h.

[4] Mehr Giftnotrufe nach Trumps Äußerungen zu Einnahme von Desinfektionsmitteln. www.derstandard.at, 26.04.2020, 09:03 h.

[5] WHO: Kein Beweis für Immunität. ORF Teletext, S. 102, 26.04. 2020, 12:44 h.