Der Frosch mit der Brille hat mich aufgefordert, für einige Zeit seinen Platz einzunehmen, da, wie er sagte, der Frosch zu schweigen hat, wenn der Mensch gefragt ist. Ich werde seinem Ansinnen, so gut es geht, Folge leisten. Mit kurzen Beiträgen, die – solange ich das schaffe – dienstags, freitags und sonntags, um 17h erscheinen werden. Tom F. Lange, im April 2020
Tag 42: Super, das neue Normal?
Begriffe besetzen ist einer der ältesten werblichen Tricks der Welt. Im Jahr 1917 verwendete die Zigarettenmarke Lucky Strike erstmals den Slogan »It’s Toasted« in ihrer Werbung. Das Unternehmen wies damit auf ihr neu entwickelte Röstverfahren hin, welches das bis dahin übliche Trocknen der Blätter in der Sonne ablöste. Alle anderen Hersteller zogen bald technisch nach, der Lucky Strike Slogan blieb jedoch jahrzehntelang auf der Packung, ganz so, als ob sie damit nach wie vor die einzigen wären. Der gelernte Österreicher kennt das. Wenn deutschnationale Burschenschafter Österreich gebetsmühlenartig als »Heimat« bezeichnen, geht es um nichts anderes. Welche konkreten Absichten mit der begrifflichen Besetzung des Landes einhermarschieren, bleibt freilich unklar.
Im Land der Ohrenkakteen (und Gartenzwerge) ist in diesen Tagen viel von einer »Neuen Normalität« die Rede. Immerhin, dort wo das »Neue Normal« ins Absurde abbiegt, ist es in der Tat super: Wenn die rechtspopulistische Opposition der Regierung neuerdings »Angstmache« und die »Errichtung eines Überwachungsstaates« vorwirft – also ihr ureigenstes Metier –, dann freut sich der Satiriker. Dennoch verdienen die Wortspenden Aufmerksamkeit, so lustig – oder naiv – sie einem scheinen mögen. Im Grunde beschweren sich die Leutchen gerade darüber, dass ihnen die Butter vom Brot genommen wird – und das sollte aufhorchen lassen.
Mit der »Neuen Normalität« habe ich gleich mehrere grundsätzliche Probleme. Sprachlich gesehen, kann etwas entweder normal sein oder neu. Was neu ist, kann nicht normal sein, da es bislang unbekannt war. Was normal ist, kann nicht neu sein, da es bereits bekannt ist. Die Absicht hinter dieser originellen Begriffsbildung ist wohl die euphemisierende Charakterisierung von Geboten und Einschränkungen als »Normalität«. Es ist eh nichts passiert, liebes Volk, ängstige Dich nicht, alles ist normal …
Womit ich bei meinem zweiten Problem bin: Ich werde grundsätzlich skeptisch, wenn man mir erklären will, was als »normal« zu gelten hat und was nicht. Die vielbemühte »Normalität« wird gerne als Positivum präsentiert, ungeachtet der Tatsache, dass es historisch gesehen schon viele »Normalitäten« gegeben hat, die längst nicht alle erfreulich waren. »Normalität« bezeichnet lediglich eine Norm, und damit etwas, das in der Vergangenheit entstanden ist; Gesellschaften hingegen befinden sich im Umbruch. Was gestern normal war, ist es heute nicht mehr und vice versa, das kann positive, aber auch negative Konsequenzen haben.
Einschränkungen der Freiheitsrechte, der Erwerbsmöglichkeiten und der Lebensführung können in Österreich jedoch unter gar keiner, wie auch immer gearteten Sichtweise als »Normalität« bezeichnet werden, auch nicht als »Neue«!
Drittens gefällt mir ganz und gar nicht, wer der Prediger dieser »Neuen Normalität« ist. Unser Bundeskurzer hat schon früher Ausflüge ins Absolutistische unternommen – sei es aus Unverstand, sei aus Neigung, ich weiß es nicht. Seine Parteikollegin auf europäischer Ebene, die vielgeschmähte Angela Merkel, nannte die Einschränkungen hingegen eine »demokratische Zumutung«,[1] – und hat damit das Wort ausgesprochen, das längst fällig war.
© Tom F. Lange, 2020
[1] »Pandemie ist »demokratische Zumutung«, ORF, 23.04. 2020, 13:41 h, https://orf.at/stories/3163002/