Der Frosch mit der Brille hat mich aufgefordert, für einige Zeit seinen Platz einzunehmen, da, wie er sagte, der Frosch zu schweigen hat, wenn der Mensch gefragt ist. Ich werde seinem Ansinnen, so gut es geht, Folge leisten. Mit kurzen Beiträgen, die – solange ich das schaffe – dienstags, freitags und sonntags, um 17h erscheinen werden. Tom F. Lange, im April 2020

Tag 26: Vorsicht, Spalt!

Ein Online-Einrichtungshaus schickt mir ein e-mail: »Zuhause ist’s am schönsten!« Ticken die noch richtig? Man weiß es nicht. Aber sie meinen es ernst: »Diese Preise sorgen für Frühlingsgefühle.« Gleich zwei Botschaften, bei denen ich mich im falschen Film wähne. Die dritte folgt umgehend: Im Supermarkt lachen mich pausbäckige Schoko-Osterhasen an, auferstanden in bunt-goldener Alufolie. Gemeinsam mit Tulpen und Eiern stehen sie im Eingangsbereich und bei den Kassen Spalier, als Ministranten einer äußeren Wirklichkeit, die ich mit meiner inneren nicht vereinbaren kann. Die äußere hat ihre nicht zu leugnende Faktizität: Der Frühling ist gekommen, ob ich mit ihm etwas anfangen kann oder nicht. Und Ostern ist da – in seiner gewohnten, verkitschten Normalität – die plötzlich absurd geworden ist.
Wenigstens in einer Hinsicht ist alles in warmen Tüchern. Anlässlich des wichtigsten Festes der Christenheit konnte die Frage des Eiersuchens gerade noch rechtzeitig gesetzlich geregelt werden. Österreich ist erlöst. Die Osterpinze bei der Erbtante darf hinuntergewürgt werden. Ein Freund schreibt mir: »Ich frage mich, was ganz Österreich plötzlich feiern will, wenn es sagt, dass es Ostern feiern will (und halt nicht so wirklich darf?« Frag nicht. Du, als Teil der Bevölkerung, der Ostern als Ostern und nicht als Magenverstimmung oder Verkehrstoter begehen will, weiß auch ohne Erlass, wie das geht.
Ich bin kein gläubiger Mensch. Ostern ist für mich das Fest des Bibelschinkens (alter Hollywood-Rezeptur), das Fest der Primavera, des erwachenden Frühlings und der geleerten Supermarktregale, wenn der Karsamstag wieder einmal als der Beginn einer Hungersnot interpretiert wurde. Statt an hartgekochten Eiern delektiere ich mich lieber an Peter Ustinov als Kaiser Nero (Quo Vadis?, 1951), Charlton Heston als Judah Ben-Hur (Ben Hur, 1959) oder an John Huston als Noah (Die Bibel, 1966).
Das erste Grün auf der Terrasse hat sich längst gezeigt, ich könnte endlich wieder nach Herzenslust garteln. Nur fehlt es mir an der Erde, an Töpfen, etc. Online bestellen ist für mich keine Lösung: Nur vor Ort, im Geschäft fallen mir die Dinge ein – oder auf, die ich nicht auf der Liste stehen habe. Aber gut, irgendwann nächste Woche – nicht am Dienstag! – ist auch das erledigt, und dann kann der Frühling wenigstens partiell in mein Gemüt einziehen. »Frühlingsgefühle« hingegen, liebe schlecht beratene Werbetexter, »Frühlingsgefühle« sind das Letzte, woran ich jetzt erinnert werden will! Man spricht nicht vom Strick im Haus des Erhängten. Meine Partnerin und ich leben in getrennten Haushalten. Ich erwäge Kaltwasserduschen und fernöstliche Meditation. »Frühlingsgefühle« kann ich momentan weder brauchen, noch will ich sie haben.
Unseren weltlichen Hirten, insbesondere unserem Hl. Sebastian, der auch in der Krise eifrig an seiner Divinisierung arbeitet, rate ich abschließend zur Vorsicht – in Hinblick auf den im Fest enthaltenen »Plan B«: Erlösung durch Menschenopfer. Ungefähr gleich alt wäre er ja …

© Tom F. Lange, 2020