Der Frosch mit der Brille hat mich aufgefordert, für einige Zeit seinen Platz einzunehmen, da, wie er sagte, der Frosch zu schweigen hat, wenn der Mensch gefragt ist. Ich werde seinem Ansinnen, so gut es geht, Folge leisten. Mit kurzen Beiträgen, die – solange ich das schaffe – dienstags, freitags und sonntags, um 17h erscheinen werden. Tom F. Lange, im April 2020

Tag 23: Kuscheln mit dem Lagerkoller

1. Ich könnte meine Wohnung putzen, wenn ich wollte. Es ist eine der Tätigkeiten, die die Bundesregierung empfiehlt. Aber das halte ich mir in Reserve, für den Tag an dem ich gar nichts mehr mit mir anzufangen weiß. Oder für den, an dem ich nur noch mit einem Schneepflug durch die angehäuften Staubwechten komme. Bei offenem Fenster huschen die Lurchknäuel wie verspielte Kätzchen über den Boden, was ein unterhaltsamer Anblick ist.
2. Ich könnte ein Buch lesen. Wenn ich wollte. Aber ich kann nicht. Die meisten, die ich habe, sind deprimierend gut.
3. Ich könnte das Altpapier wegbringen. Aber der Berg von Nudelpackungen und Whiskykartons ist einer der letzten mir verbliebenen Beweise für das Verstreichen der Zeit. Dank seines steigenden Pegels existiert ein vom Gestern unterscheidbares Heute. Und ich brauche ihn. Seine Präsenz bildet die notwendige Affirmation des Ausnahmezustandes, ohne die ich verloren wäre. Aber ich mag ihn trotzdem nicht.
4. Ich könnte spazieren gehen. Wenn mir diese peinlich auf Achtsamkeit bedachten Menschen nicht schon zum Halse heraushingen. Der erste, der am Fenster steht und applaudiert, ist tot. Womöglich fährt auch noch ein Polizeiauto vorbei und intoniert »I am from Austria«. Immerhin, dem könnte ich auf die Motorhaube kotzen. Aber bei meinem Pech bleibt es nicht stehen.
5. Ich könnte mir die uralte weiße Baumwollunterhose – mit Eingriff –, die ich im Kasten gefunden habe, über den Kopf stülpen und damit einkaufen gehen. Vielleicht lande ich dann in der Klapsmühle. Aber ich weiß nicht einmal, ob ich mich fürchten soll, dort behalten zu werden, oder dass sie mich gleich wieder rausschmeissen.
6. Ich könnte am Balkon mit meinen Nachbarn reden. Aber die sind mir suspekt. Mit Nachbarn ist es wie mit kleinen Kindern: Man will sie nur selten hören und niemals sehen. Zumindest in Wien. Merke: Der Wiener ist die Essenz des Österreichers: Seine Gemütlichkeit ist die gnadenloseste, sein Gift das tödlichste. Nur Zugereiste wollen gutnachbarschaftliche Beziehungen führen. Der gelernte Wiener bewahrt sein goldenes Herz – wie alle seine Pretiosen – im Schließfach auf. Denn er weiß, dass die Begründung der Psychoanalyse in seiner Stadt kein Zufall war. Man muss verstehen, dass Wien nicht nur eine Hochburg des Antisemitismus war, sondern auch eine Brutstätte für Neurosen. Wer hat das gesagt? Erwin Ringel? Und wenn, hat er das so gesagt? Egal. Nachbarn sind entweder Nazis oder gestört.

© Tom F. Lange, 2020