Der Frosch mit der Brille hat mich aufgefordert, für einige Zeit seinen Platz einzunehmen, da, wie er sagte, der Frosch zu schweigen hat, wenn der Mensch gefragt ist. Ich werde seinem Ansinnen, so gut es geht, Folge leisten. Mit kurzen Beiträgen, die – solange ich das schaffe – dienstags, freitags und sonntags, um 17h erscheinen werden. Tom F. Lange, im März 2020
Tag 14: Die Krise ist da
»Wie beruhigt der Grabredner – in Zeiten der Ansteckungsgefahr – die untröstliche Witwe?« – »Er kondomiert ihr.«
Witze reissen ist eine gängige – und befreiende – Reaktion auf Krisen, soviel ist klar. Auf der untergehenden Titanic beschlossen mehrere männliche Passagiere der First Class, to go down like gentlemen,[1] und überließen die für sie reservierten Plätze in den Rettungsbooten lieber Frauen, Kindern und Jüngeren. Die Legende will, dass sie sich schließlich, nachdem sie sich um Rettungsmaßnahmen für ihre Lieben oder andere Passagiere gekümmert hatten, an der Bar versammelten, auf einen letzten Drink. Da meinte einer der Herren beiläufig: »Ich weiß, das ist jetzt absurd, aber ich hätte doch gerne Eis in meinem Whisky.«
Warum ist das lustig? Weil dieser Mann auf seine Rettung verzichtet hat. Als Überlebender, an Bord von einem der Schiffe, die erst Stunden später am Unglücksort eintrafen, wäre er für den gleichen Witz vielleicht gelyncht worden. Die Grenzen dessen, was noch belustigen kann, werden in der Krise enger. Schlechte Witze richten sich ohnehin von selbst, hinter allen lauert jedoch stets die triste Realität. Ein guter Freund von mir ist Grabredner; die derzeit auf fünf Personen beschränkten Bestattungen (selbst diese dürfen sich nur unter freiem Himmel oder am Grab versammeln) machen würdige Verabschiedungen schwierig bis unmöglich.
Vor über einer Woche sah ich im Fernsehen, im Zuge eines Berichts über Italien, ein aufgeregtes, schmächtiges Manderl mit grauem Haarkranz, das – vor laufenden Kameras – hysterisch herumhüpfte. Kein aufgebrachter Bürger war da zu sehen, sondern einer der verantwortlichen Politiker der betroffenen Region. Roberto Benigni hätte dessen Auftritt auch nicht besser hingekriegt, ich konnte trotzdem nicht lachen. »Die armen Menschen!« dachte ich, »Wie soll ihnen dieser überdrehte Kasperl Vertrauen oder gar Zuversicht einflößen?« La vita non è bella. Witze über Politiker sind derzeit weniger gefragt. Wir wollen uns nicht über sie lustig machen, weil wir sie uns nicht einmal im Scherz als Witzfiguren vorstellen wollen, sondern – ob zu Recht oder Unrecht – auf ihre Kompetenz hoffen, mit der wir irgendwie durch die Krise kommen. Moment, hab’ ich das gerade hingeschrieben? Seit wann hoffe ich auf die Kompetenz unserer Politiker? Seit jetzt! Die Krise ist wirklich da.
© Tom F. Lange, 2020
[1] »We’ve dressed up in our best and are prepared to go down like gentlemen.« Benjamin Guggenheims letzte überlieferte Worte auf der Titanic, nachdem er anderen Passagieren geholfen und seine Geliebte in einem Rettungsboot untergebracht hatte.
Ich bin froh, daß die Regierung mit dem heutigen Tag (30. März 2020) die Maßnahmen verschärft hat. Denn ich fürchte weniger das Virus, das vielen Menschen, so oder so, den Tod bringt (und selbstredend potentiell auch mir), sondern vielmehr die Dummheit der Vielen, allzu Vielen. Dummheit? Hierfalls die Unfähigkeit, eigenes Denken und Handeln zu verantworten. Als ich vor vier Wochen Menschen um Verständnis (!) dafür bat, daß ich auf den Grußgestus des Händedrucks verzichten möchte ‒ zu deren Schutz! –, erntete ich fast durchweg Unverständnis. Zugegeben: Die politisch Verantwortlichen haben sich vor vier Wochen selber noch im förmlichen Händeschütteln fleißig geübt.
Vier Wochen später also: Ich war entsetzt, beispielsweise nur, als ich vorgestern ein paar Schritte in der frischen Luft machen wollte – und eines kunterbunten, lebhaften Markttreibens vornehmlich »alternativer« Selbstoptimierer und Bobos in unserer Gasse gewahr werden mußte. Offenbar können sich viele Menschen gar nicht vorstellen (ist die gute alte Empathie den Menschen gänzlich abhanden gekommen?), was es heißt, in die Situation zu geraten, in der unzählige Ärzte (wie etwa in Italien seit vielen Wochen) das Triage-Prinzip mit der entsprechenden Kriteriologie anwenden müssen, wie etwa auch im Kriegsfall: Gebe ich das Beatmungsgerät meiner 76jährigen Mutter, die es dringend braucht, oder meiner 24jährigen Tochter, die es ebenfalls dringend braucht? Die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie etc. (ÖGARI) hat am 17. März »Klinisch-ethische Empfehlungen für Beginn, Durchführung und Beendigung von Intensivtherapie bei Covid-19-PatientInnen« publiziert.
Wäre ich Bundeskanzler, würde ich diese »Empfehlungen« an jeder Hauswand dieses Landes in übergroßen Lettern plakatieren lassen. Aber da die allermeisten Menschen nicht mehr sinnerfassend lesen können, brächte das auch nichts. Nicht von ungefähr haben sich die Pressekonferenzen der Regierung (ähnlich der ZIB 1 etwa) zu Schulstunden für 5jährige Begriffsstutzige gewandelt. Zuweilen mischt sich in den Schulstundenton sogar ein Hauch von »Die Deutsche Wehrmacht gibt bekannt (…)!«. Warum wohl sind solche Töne notwendig geworden?
Ich selber verhalte mich in allem so, als ob ich selber infiziert wäre. Auf diese Weise, meine ich, schütze ich meine Mitmenschen am besten. Und nur wer seine Mitmenschen schützt, schützt auch sich selber am wirksamsten: Eine Denkoperation, die die meisten Österreicher immer noch heillos überfordert ‒ wie mir scheint. »Corona« entlarvt endlos vieles sehr schonungslos, unsere Stärken und unsere Schwächen, nicht zuletzt die pandemisch grassierenden Hausverstandsdefizite einer ganzen Bevölkerung. ‒ So weit, so schlecht.
Paßt nicht auf Euch, sondern paßt auf Eure Mitmenschen auf!
In diesem und nur in diesem Sinne: Valete!