Der Frosch mit der Brille hat mich aufgefordert, für einige Zeit seinen Platz einzunehmen, da, wie er sagte, der Frosch zu schweigen hat, wenn der Mensch gefragt ist. Ich werde seinem Ansinnen, so gut es geht, Folge leisten. Mit kurzen Beiträgen, die – solange ich das schaffe – dienstags, freitags und sonntags, um 17h erscheinen werden. Tom F. Lange, im März 2020

Tag 12: Die gefrorene Stadt

Die Ampeln regeln – in gleichgültigem Rot-Gelb-Grün – das Wenige, das ihrer Regelung bedarf. Im Kaffeehaus ums Eck stehen drei Farbkübel am Boden, sie verstauben seit Tagen an der selben Stelle. Das halb renovierte Portal eines Hauses glotzt mich an, in Unfertigkeit erstarrt. In den Auslagen der Kleidergeschäfte hängen die gleichen Fetzen wie vor beinahe vierzehn Tagen. Aber: Beim verwaisten Italiener gegenüber hängt noch immer ein trotziges Schildchen in der Eingangstür: Open!
Nach dem Gang in den Supermarkt begebe ich mich auf meine regelmäßigen Spaziergänge, getarnt mit meinem Einkaufssackerl, den Blick offen für meine bösen, potentiell infizierten Mitmenschen. Ich, ein Böser unter Bösen, huste: Über verkniffenen Mündern mustern mich eisige Blicke. Vielleicht sollte ich mir ein Schild umhängen: »Das ist ein harmloser Raucherhusten, kein grausliches Corona!«
Ich kehre zurück zu meiner Wohnung, fahre mit dem Aufzug nach oben und sehe, oben angekommen, schon durch den Spalt der Aufzugstür: Da wartet jemand vor dem Lift. Ich bin zunächst genervt, dann überkommt mich eine unerwartete, beinahe hündische Freude an der bevorstehenden, möglichen Interaktion. Ich darf einem Menschen begegnen! Nicht bloß an ihm vorbeigehen oder ihm ausweichen. Während meine Neuronen noch mit Schwanz wedeln, öffnet sich auch schon die Tür. Eine Frau steht da, mühsam riesige Verpackungskartons im Griff behaltend. Eine Nachbarin? Ein Umzug? Ich habe sie noch nie zuvor gesehen. Ich zögere kurz, und halte ihr dann die Tür auf. Sie will das verhindern, ruft: »Aber wir müssen doch Abstand halten!« Ich antworte, während ich mit meinem immer länger werdenden Arm vor ihr und der offenen Aufzugstür retiriere: »Ja, ja, wir halten eh Abstand.« Sie lacht und freut sich beinahe überschwänglich, dankt mir mehrfach, als ob ich sonst etwas für sie getan hätte. Das Eis war kurz gebrochen.

© Tom F. Lange, 2020