Groß ist die Welt, selbst das mächtige Reich der Froschelungen ist im Vergleich zu ihr klein gewesen. Dennoch war es für die meisten Frösche, die darin lebten von erhabener Größe. Seine Hauptstadt lag im Norden, unter dem alten Holzsteg, der ihnen Schutz vor der Entdeckung durch fliegende Feinde gewährte. Im Osten des Tümpels, nur einige Hüpfer entfernt, neigte eine ehrwürdige Trauerweide ihren Schopf über das Wasser, im Westen, gleich neben dem Steg, wohnten Menschen in einer steinernen Höhle. Dem Steg gegenüber, nur wenige Schwimmstöße entfernt, lag der Süden mit seinem sandigen Ufer. Dieses begrenzte ein Weizenfeld, dort war es sonnig und windig. Das Südufer war der am sorgfältigsten bewachte Teil des Reiches. Das wussten die Feinde der Frösche. Denn über die dahinterliegende Ebene, gedeckt von den Halmen des Feldes, hatten sie sich früher gerne herangeschlichen. Den Wachdienst absolvierten seit jeher die Frösche des Südens, sie wurden dafür von den anderen mit Futter versorgt. Denn ihr Dienst nahm ihnen die Zeit zum Jagen und der Wind verblies viele Insekten nach Norden, der auf diese Weise reichlich mit Futter gesegnet war. So lebten die Froschelungen in Eintracht und Sicherheit. […] Ein Jahr begann, das einen besonders kalten und nassen Sommer brachte. Die Nahrung wurde knapp, sogar im Norden, viele Frösche erkrankten, darunter ihr König. […] Da erhob der Fürst des Nordens, Quagen, voller Tücke das Wort: »Wofür sollen wir diese unnützen Fresser im Süden versorgen? Wir haben selber zu wenig.« »Für ihre Wachsamkeit«, antwortete diesem der kranke  König, »für das Reich, das ohne den Süden seine Herrschaft über den Tümpel verlöre.« »Unnütz ist dieser Süden,« gab ihm Quagen zurück, »ein kostspieliges Anhängsel. Besser wäre der Norden ohne ihn dran!« Quagen hatte schon lange auf so eine Gelegenheit gewartet. Nun sammelte er seine Männer und forderte die Unabhängigkeit jenes Gebietes, das ihm der König als Lehen verliehen hatte. Als die Frösche des Ostens von Quagens Absichten hörten, wollten auch sie sogleich ein eigenes Reich, denn sie fürchteten, alleine zu bleiben, mit der Last der Ernährung des Südens. »Spart euch eure Sorgen,« rief da der Fürst des Südens, der bisher geschwiegen hatte, »wo unser Dienst keinen Dank mehr findet, wo Selbstsucht die Eintracht beseitigt, dort werden drei Könige regieren oder keiner!« Ein Streiten begann im Volk der Froschelungen, endlos war es und nicht ohne Folgen. Der Wachdienst im Süden wurde vernachlässigt und kam bald zum Erliegen. Schwach wurden alle von dem fruchtlosen Zank,  denn sie jagten nur noch Worten hinterher, nicht nährender Beute. Das weckte die Neugier der Feinde der Frösche. Bald stand der kranke König allein – schwach und umzingelt von seinen quakenden Fürsten. […] Das Mittsommernachtsfest kam und mit ihm die Feier am Steg. Dort trafen die Fürstinnen des Nordens und Ostens aufeinander. Da trat Grünhild vor Brunhupfe und sprach die leidbringenden Worte: »Mir, der Fürstin des Nordens, gebührt der Vortritt bei der Eröffnung der Feier. Tritt du also hinter mich, an den Platz, auf den dich dein Rang verweist!« Diese wollte schon Antwort geben, doch die Fürstin des Südens, die bescheiden hinter den beiden geblieben war, kam ihr mit schlichtendem Einwand zuvor: »Schwestern, lasst es gut sein! Genug Platz bietet der Steg, dass ihr nebeneinander geht!« Da drehten sich die Angesprochenen wie Furien um und schrien gemeinsam: »Wen nennst du Schwester, Bettelweib?! Eine wie du hat uns gar nichts zu sagen!« Nur der Kampf konnte die Kränkungen tilgen, in den Kampf warfen sich sogleich die Gefolge der Fürstinnen. […] Lange noch weinten Mädchen und Mütter wegen dieses blutigen Zwistes. Erschüttert dankte der kranke König ab und verkündete die Teilung des Reiches.  Das sahen die Feinde der Frösche mit Freude. […] Keine Zunge rührte sich im versammelten Volke. Feierlich schritt Quagen auf dem Steg voran, zur Krönung als König des Nordens. […] An der Trauerweide, so war es beschlossen worden, unterzeichneten sie die Verträge. […] Endlich erreichten die Könige das Ufer des Südens, wo die Gründung der drei Reiche festlich gefeiert werden sollte. Und als das gesamte Volk der Froschelungen am Ufer versammelt stand, da hoben drei Könige statt einem zum Glückwunsch die Becher. Und so begann der Froschelungen Noth.

Wie der Froschelungen Noth endete, und welche Mahnung dieses Epos enthält, habe ich letzte Woche dargestellt. Neulich kam es mir wieder in den Sinn, nach einer unerfreulichen Begegnung mit meiner Nachbarin Discordia, der harthäutigen Kröte. Sie hatte sich über die Frösche im Südtümpel beschwert. Diese würden weniger Futter für die Alten und Kranken beisteuern, sie wären faul und überhaupt von einer völlig anderen Art, die nichts mit gut nordischen Amphibien, wie sie eine wäre, zu tun hätten. Sie geriet in Saft. Das ist nicht metaphorisch gemeint, während ihrer Rede begann sie tatsächlich Gift aus ihren Drüsen abzusondern: »De Gelsenfresser, de südländischen, de ham vor nix Respekt. Ausse hauen sollt’ ma’s, des faule Pack, soll’s schauen, wie’s allan z’rechtkommt.« Energisch schüttelte sie das Gift, das inzwischen ihren Leib herunter rieselte, ab. Ich duckte mich, die sie umschwirrenden Insekten sanken leblos zu Boden. »Ist das ihr Ernst?«, fragte ich vorsichtig. »Wie sollen wir gegenüber der Welt und unseren Feinden bestehen, wenn wir untereinander streiten? Bedenken sie: Die Welt ist groß, unser Tümpel klein.« Mit einer Handbewegung lud ich sie dazu ein, gemeinsam mit mir Umschau zu halten. Wir saßen vor unseren Erdhöhlen, unter der ehrwürdigen Trauerweide, deren dichter Schopf uns Schutz vor der Entdeckung durch fliegende Feinden gewährte. Linker Hand, nur einige Hüpfer entfernt, wohnten Menschen in ihrer steinernen Höhle, rechter Hand lag der alte Holzsteg. Vor uns lag der Tümpel und das Südufer, das man mit wenigen Schwimmstößen erreichen konnte. »Ihr unabhängiger Norden würde doch, wenn ich sie recht verstehe, gerade einmal von hier, von unserer Weide bis zu dem alten Steg reichen …« Weiter kam ich nicht: »San se deppert g’worden?! Die West-Tümpler können mir doch genauso g’stohlen bleiben! Wie die scho quaken! Nix da, Weidanien den Weidanern!« Die Ausdehnung des von ihr geforderten unabhängigen Reiches hatte sich schlagartig auf knapp sechs Quadratmeter verkleinert. Allmählich reichte es mir: »Das ist doch lächerlich! Wir sind alle Frösche desselben Tümpels und es geht uns gut damit.« Auch damit fand ich bei ihr keine Zustimmung: »Den ander’n geht’s guat, weil wir zahl’n! Aber ihren Beitrag wollen’s net leist’n, de faulen G’fraster!« Meine Geduld war erschöpft: »Entschuldigen Sie! Sie haben – soweit ich weiß – noch nie irgendeinen Beitrag zum Gemeinwohl geleistet, nicht einmal das winzigste Mücklein!« Discordia blinzelte, ihr Maul klappte auf, dann wieder zu und dann entlud sie ihren Zorn über mich: »Woos?! Wos fallt ihna ein? Wie reden sie mit mir? Sie ham doch von nix a Ahnung, sie deppata Gutfrosch!«
Sprach’s, verschwand in ihrem Bau und gründete eine BürgerInnenbewegung für einen unabhängigen Norden. Und so begann der Europäer Noth. 

1 Das Froschelungenlied. Auszüge aus der 1., 5., 13., 27. und 38. Aventiure.

© Tom F. Lange, 2017