Mit einem Schlag zerbrach der glitzernde Spiegel des stillen Tümpels, an dessen Ufer sich das Volk der Froschelungen versammelt hatte. Das Wasser vor ihnen schäumte auf, gepeitscht von den Schwänzen unzähliger Schlangen, die das weite Rund des Tümpels bedeckten. Ein Zischen erfüllte die Luft, kein Wasserfloh hätte einen Weg durch das Gewürm gefunden, das kalten Auges dem Ufer zustrebte. Da wandte sich selbst der furchtloseste Froschelunge um und erkannte sogleich, wie unerbittlich sie der Tod an diesem Tag berauben würde. Im Feld hinter ihnen, wo kornspendende Halme gestanden waren, standen dichtgedrängt Störche und Reiher, die langen Schnäbel zur Ernte gesenkt. Unter diesen, vom Acker her, gähnten ihnen spitzzahnige Mäuler entgegen, durchschnitten gezückte Krallen voller Häme die Luft. Das Fußvolk des Feindes hatte sich aus seiner Deckung erhoben: Katzen, Marder und Füchse, zappelnd vor Gier. Die Froschelungen waren umzingelt. Nur des Kampfes Ruhm, nicht dessen glücklichen Ausgang konnten sie sich jetzt noch erstreiten. Jenen suchten ihre Helden sogleich. […] Wolken von Bussarden, Falken und Krähen hatten sich vor die Sonne geschoben und stürzten sich auf die Froschelungen herab. Sie packten die Tapferen wie auch die Verzagten, hoben sie fort aus dem Kampf, hoch hinauf in die Luft, für den tiefen Fall auf den Felsen, der diese Ungleichen voller Gleichmut im Tode vereinte. […] Dreimal durchschritt Quagen von Tronje die Reihen der Schlangen, nach vorne und wieder zurück, er mähte sie nieder, mit gemessenen Schwung. Hoch spritzte das Blut, wo er hinschlug, aber wo er nicht war oder ein anderer Held, dort streckte es seine Gefährten in Haufen zu Boden.  […] Den Dauphin des Nordens packten zwei Schlangen an seinen Schenkeln, unwillig dem anderen die Beute zu lassen. Da rissen beide zugleich an dem Knaben und ihr Streit fand durch Teilung zur Schlichtung. […] Manches Fell vermochte der wackere Hupfelher noch zu röten, doch röter und nasser wurde der Feind von Hupfelhers Blut. […] Da hatte auch der letzte der Froschelungen seine Farbe verloren. Bleich lag alle da und still. Und so endete der Froschelungen Noth. 1

Vom Froschelungenlied, dem ältesten Epos 2 des mitteleuropäischen Frosches, hat zwar jede Kaulquappe schon einmal gehört, gelesen haben es aber deutlich weniger. Und die Mahnung, die es enthält, ist so gut wie vergessen. Wie konnte es zum Gemetzel in der Südbucht kommen, das ich hier in Auszügen wiedergegeben habe? Was stürzte dieses mächtige Reich in seinen Untergang? Das verrate ich nächste Woche, im ersten Teil dieses Beitrags. Ich habe das gräuliche Ende dieser Geschichte ganz bewusst vor ihren Anfang gestellt, zur Erhöhung der Wirkung: Denn nur wer das Ende bedenkt, wird lernen, den Anfang zu fürchten. 3

1 Das Froschelungenlied. 39. Aventiure, Auszüge.
2 Es wurde um die Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert verschriftlicht. Das eigentliche Alter dieses Heldenepos ist nicht mehr ermittelbar. Es enthält die Sagen vieler Tümpel, die in mündlicher Form von Generation zu Generation weitergegeben worden sind und erst später zu einer Erzählung vereint wurden.
3 Der Frosch mit der Brille. Also sprach Ranathustra, III, 18, 5.

© Tom F. Lange, 2017