Laughter ringing in the darkness
People drinking for days gone by
Time don’t mean a thing
When you’re by my side
Please stay a while
You know I never could foresee the future years
You know I never could see where life was leading me
But will we be together forever,
What will be my love, can’t you see that I just don’t know.
Queen. You and I. Aus: A Day at the Races, 1976.
Eine willige Bekanntschaft stellte mir, kurz bevor wir unseren Nicht-Pflichten in nicht-ehelicher Weise nachkamen, die folgende Frage: »Liebst du mich, begehrst du mich oder willst du mit mir vögeln?« Sie meinte es freundlich, ihr war jede Antwort recht; alles, was sie wollte, war vorher Bescheid wissen. Aber es war eine kluge Frage. Denn sie veranlasste mich, das Motiv, das mich zu ihr getrieben hatte, zu erkennen und zu benennen. Ich entschied mich für die unverbindlichste Variante und – siehe da! –, danach stand nichts mehr zwischen uns, was nicht dem Vergnügen gedient hätte. Wir haben diese »multiple choice«; wir sind nicht verpflichtet, jeden Menschen, mit dem wir unsere Triebe ausleben oder der uns gut tut, gleich zu lieben. Wir sollten nur in jedem Fall respektvoll mit dem Anderen umgehen und – wissen, was wir wollen.
Wenn ich einer Frau begegne, die mir gefällt, stelle ich mir immer die gleiche Frage: »Liebe ich sie oder liebe ich nur Teile von ihr?« Muss ich letzteres bejahen, dann weiß ich, ich liebe nicht. Denn Liebe besteht nicht in einem Abwägen von Vorzügen und Mängeln (Mängelexemplare sind wir alle), sondern in dem Erfassen und Bejahen des ganzen Menschen. Selbst die Feststellung, dass die Vorzüge einer Person deren Mängel bei weitem übertreffen, begründet keine Liebe, sondern lediglich ein Geschäftsmodell. Man »nimmt etwas in Kauf«, hat also, zumindest auf sprachlicher Ebene, den Handel bereits abgeschlossen. Ganz zu schweigen davon, dass man damit diesem – so messerscharf erkannten! – Mangel, ein völlig unangebrachtes Gewicht verleiht. Entweder man liebt oder man liebt eben nicht. Ein einmaliges «Ich könnte dich lieben, wenn du nicht so blöd wärst«, ist allemal besser als ein ewiges »Ich liebe dich, aber du bist schon sehr dumm«. L’enfer, c’est les autres.[1] Und eine leichtfertige Vergabe des Etiketts Liebe führt ohne weiteres in die Hölle auf Erden. Freilich werden derartige Händel gerne für Liebe gehalten, vor allem, weil sie funktionieren. Im Normalfall landet die Beziehung bei einem quid pro quo, einer Aufrechnerei, was der eine für den anderen getan hat, tun sollte, etc; im Extremfall bei dem alten Kaufmann, der auf die Frage, ob er denn nicht wisse, dass ihn seine schöne Frau mit dem Tennislehrer, dem Poolboy, dem Hausarzt, kurz, mit jedem Mann, der für sie greifbar ist, betrügt, antwortete: »Ja, sicher weiß ich das. Aber ich bin lieber mit zehn Prozent an einer guten Sache beteiligt, als mit hundert Prozent an einer schlechten.« In allen Fällen achtet jeder auf seinen »return on investment«, zuweilen »arbeitet« man vielleicht sogar an seiner Beziehung und ist auch noch stolz darauf.
Wenn die Liebe aber mehr als bloße Geilheit oder Begehren ist und keine »Gesellschaft mit beschränkter emotionaler Haftung« sein soll, was ist sie dann? Nichts als ein Wahn? Eine postkoitale Wertbeimessungsstörung? Temporäre Verblödung, wie es mir von meinen schwärzesten Stunden eingeflüstert wird? Oder ein Lebenselixier? Tief wie das Meer, die stärkste Macht der Welt? Unsterblich gar, und nur dann, nur unter dieser Voraussetzung wahr? Letzteres Konzept finde ich seit jeher schwierig. Wer seine Liebe für unsterblich erklärt, erhebt das Unmögliche zur conditio sine qua non, schreibt somit von Anfang an das Scheitern in die Beziehung ein, indem er ihr eine Erwartung aufdrückt, die unerfüllbar ist. Die Liebe hat keine Zukunft, sie ist sterblich, sie darf sich nicht nur das Unmögliche nicht erwarten, sondern gar nichts. Schon gar nicht Erwiderung. Aber sie darf hoffen, – soll und muss das sogar. So wie die Liebe mit Erwartungen nicht vereinbar ist, ist sie ohne Hoffnungen nicht denkbar. Diese sind legitim, denn sie denken den Fehlschlag mit, jene illegitim, weil sie ihn ausschliessen. Anders gesagt: ich werde nur dann nicht scheitern, wenn ich mein Scheitern zulasse. Oder ich bin der Metzger, aus Ödon von Horváths Geschichten aus dem Wienerwald, wenn er verkündet: »Marianne, du wirst meiner Liebe nicht entgehen!«
Ist die Liebe etwa eine Kunst? Es gibt zumindest zwei Autoren, die das bejahen. Der eine, der, aus altem Landadel stammende Publius Ovidius Naso, kurz Ovid genannt, feierte mit seiner Liebeskunst (Ars amatoria) große Erfolge im antiken Rom. Der andere, der Sozialpsychologe Erich Fromm, publizierte in den 1950er Jahren Die Kunst des Liebens, und schuf damit einen Bestseller. Während Fromm fundierte Analysen und Erkenntnisse formuliert, treibt der Spötter Ovid sein Spiel mit dem Thema. Jener definiert die Liebe, treibt dem Begriff diverse pseudoromantische Vorstellungen aus; dieser unterrichtet wissbegierige Jünglinge darin, wie sie möglichst viele der reizenden Mädchen Roms[2] flachlegen können. Als Voraussetzung für die Kunst des Liebens nennt Fromm Selbstdisziplin, Konzentration und Geduld.[3] Besser könnte man Ovids Ratschläge an seine, in ihren Startlöchern scharrenden Jünglinge nicht zusammenfassen. Fromm bespricht selbstverständlich beide Geschlechter, während Ovid sich vordergründig nur an junge Männer wendet, die seiner Meinung nach Belehrung nötig haben. Aber gerade die dreiste Amoral dieses Reigens männlicher Verführungstricks wird auch seine weibliche Leserschaft ziemlich amüsiert haben. Der Dichter und der Sozialpsychologe treffen sich, – über beinahe zweitausend Jahre hinweg – noch in einem anderen Punkt: in ihrem Kunstverständnis. Beide gehen offensichtlich davon aus, dass jemand, der sein Handwerk nicht beherrscht, es niemals zu einer Kunst machen kann.
Wenn in diesem Volk jemand die Kunst des Liebens noch nicht kennt, lese er dieses Buch und liebe dann mit Verstand.[4] Ovids Verführer unterscheiden sich weniger in ihrer Herangehensweise von den Liebenden Fromms, als vielmehr in ihrem Charakter und ihren Intentionen. Aber dass man die Angelegenheit vernünftig anzugehen hat, war beiden klar. Und es gibt ein weiteres, beide Werke fein durchziehendes, gemeinsames Element, das sie, zu guter Letzt, eindeutig voneinander trennt. Beide besprechen, ob nun gewollt oder ungewollt, den Eros-Begriff Platons. Der eine, indem er ihn fröhlich negiert, der andere, indem er diesen mit seinem Werk bekräftigt. Denn Eros ist laut Platons Priesterin Diotima nicht das, was geliebt wird, sondern das, was liebt[5], Eros sei weiters ein Zwischenwesen, er sei weder Gott noch Mensch, weder schön noch hässlich, einmal klug, dann wieder dumm. Er, der raue barfüßige Jäger, strebe jedoch primär nicht nach dem Besitz des Schönen, sondern nach der Hervorbringung des Schönen, und in weiterer Folge, des Wahren und Guten.[6] Wofür du aber Eros gehalten hast, sagt Diotima zu Sokrates, das ist keine erstaunliche Auffassung. Du glaubtest […], dass Eros das Geliebte sei, nicht dass Liebende. Deswegen, meine ich, erschien dir Eros wunderschön; denn das Geliebte ist das wahrhaft Schöne, Anmutige, Vollendete und selig zu Preisende, das Liebende aber ist mit einer anderen Gestalt von der Art versehen, wie ich sie vorgeführt habe.[7]
Zurück zum Ganzen: Die Liebe fragt nicht nach Plus und Minus, sie fragt nach dem Menschen, weil sie erkannt hat, dass dieser nur in unzerteiltem Zustand geliebt werden kann. Wer einerseits lieben, aber andererseits den geliebten Menschen ändern will, weil ihm bestimmte Teile nicht passen, liebt nicht den Menschen, sondern seine Vorstellung von diesem Menschen, sein Ideal, das er sich konstruiert hat, das aber nur für ihn ideal ist. Ein Versagen auf den Spuren eines missverstandenen Platon, das ein unerreichbares Ideal an die Stelle des real vorhandenen Menschen setzen will; selbstverständlich scheitert, um dann frustriert in seine Höhle zu retirieren, wo er nur noch mit Schatten spielen kann. Frau sagt: »Er ist so schwierig, ich trau’ mich schon gar nicht mehr, etwas zu sagen.« Mann sagt: »Seit sie mich kennt, ist sie viel ruhiger geworden.«
Jenen Erbsenklaubern unter den Liebenden sei es um die Ohren geschlagen: Auch ihr habt schon einmal eine Schwäche reizvoll gefunden! Venus hat geschielt, und war, wie’s scheint, nicht die Klügste; Adonis war nur ein Waldmensch, doch ihn liebte die Göttin sogar.[8] Man denke sich seine andere Hälfte (nicht »bessere«, denn dies impliziert gleich wieder eine Erwartungshaltung) als eine scharfgemachte Bombe, vielleicht tut man sich dann etwas leichter. Diese lieben wir zwar selten, aber bei ihr fällt es uns nicht ein, irgendein Drähtchen ohne Überlegung durchzuschneiden. In diesem Fall wissen wir, dass wir nicht wissen, was wir tun, also lassen wir es. Wer einfach so an den Drähtchen seiner Partnerin oder seines Partners herumschnippelt, darf sich nicht wundern, wenn ihm die Beziehung um die Ohren fliegt. Wir wissen nicht genau, was wir lieben. Wir wissen nur, es ist etwas in diesem Menschen. Es mag eine Stärke sein oder eine Schwäche, ein Vorzug oder ein Mangel, ein Gabe oder ein Defekt. Was ist Gabe, was Defekt? Als Don Quijote, der irrende Ritter, erstmals ausreitet, in seinem Wahn, versuchen seine Freunde und Bekannten alles, um ihn wieder zur »Vernunft« zu bringen. Am Ende des Buches bestürmen sie den inzwischen geheilten Don Quijana, wie dieser eigentlich geheißen hat, doch bitte wieder Don Quijote zu werden. Denn sie haben erkannt, dass es der Narr ist, den sie lieben.
Liebe heißt, den ganzen Menschen lieben, ob nun mit oder trotz seiner sogenannten schlechten Eigenschaften. Eine andere Wahl haben wir nicht, da nur dieser ganze Mensch als Angebot vorhanden ist. Also kritiklos alles hinnehmen, die Schwächen, die Neurosen, das Versagen? Nein, aber es hat auch niemand gesagt, dass es leicht wäre, zu lieben. Ein schmaler Grat ist meiner Meinung nach gangbar: Vorbehaltlos lieben – aber aufmerksam; alles hoffen – nichts erwarten; träumerisch – aber sterblich. Und heiß lieben! – aber unidealisierend. Als irrendes Menschlein, das weiß, dass es nur ein anderes irrendes Menschlein lieben kann und, dass es sich umgekehrt genauso verhält. Oder auf Venus, Jupiter, etc warten; die haben sich allerdings schon länger nicht mehr blicken lassen.
© Tom F. Lange, 2019
[1] Die Hölle sind die anderen. Zitat aus: Jean Paul Sartre, Huis clos, 1944.
[2] Ovid, Liebeskunst, I, 55f. Dir bietet Rom so viele, so reizende Mädchen dar, dass du sagst: »Was es je auf der Welt gab, das besitzt diese Stadt.«
[3] Erich Fromm. Die Kunst des Liebens, S. 167ff: Kapitel IV, Die Praxis der Liebe. Verwendete Ausgabe: dtv, 1995.
[4] Ovid. Liebeskunst, I, 1f.
[5] Vgl. dazu Erich Fromm: Die Kunst des Liebens, S. 11: Die meisten Menschen sehen das Problem der Liebe in erster Linie als das Problem, selbst geliebt zu werden, statt zu lieben und lieben zu können. Verwendete Ausgabe: dtv, 1995.
[6] Platon, Symposion, 201d – 212, Gespräch des Sokrates mit der Priesterin Diotima.
[7] Platon, Symposion, 204 b, c.
[8] Ovid. Liebeskunst, I, 512.
Humorvoll ehrlich ausgepackt. Die Liebe wie auch das Lieben an sich. Die in Liebe getränkte unperfekte Wahrheit! Das Wort auseinandergenommen und in klare Sätze zerlegt. Großartig!