In unserem Tümpel gibt es momentan nur ein Thema, das Wellen schlägt, nämlich diese seit Wochen verhandelte Partnerschaft zwischen einem jüngeren und einem älteren Mann, die nun kurz vor ihrer Eintragung steht. Angesichts der Frische der Beziehung und der Frage nach der Aufrichtigkeit der beiderseits beteuerten Zuneigung, fragt sich so mancher, ob das gut gehen kann. Aber welche Gefahren sind es eigentlich, die eine Partnerschaft unter Männern verschiedenen Alters mit sich bringt? Worauf hat der Jüngere zu achten, worauf der Ältere? Sucht man nach erhellenden Beispielen, bietet sich die Antike mit ihren zahlreichen exempla für derartige Bündnisse an. Grund genug also, diese genauer zu betrachten. Wie entstanden sie, beispielsweise im alten Griechenland? Ein Jüngling präsentierte sich auf dem gymnasion, dem Platz für Leibesübungen, stellte seinen Körper zur Schau, der – in der Idealvorstellung der damaligen Zeit – von einem gesunden Geist bewohnt wurde. Früher oder später wurde er von einem der älteren Männer angesprochen, die den Sportplatz auf der Suche nach einem Partner aufsuchten. Dieser umwarb den Jüngeren mit Geschenken und konnte sich mit etwas Glück schon bald eines neuen Gefährten erfreuen. Die Gefahren dieser Partnerschaft liegen in den gegenseitigen Erwartungshaltungen. Schließlich ist es die Aufgabe des Älteren, des erastes[1] – man ihn in dieser Form der antiken männlichen Partnerschaft nennt – den Jüngeren zu männlicher Tugend und sittlicher Tadellosigkeit zu erziehen. Das kann leicht misslingen, fordert es doch von beiden Beteiligten ein Mindestmaß an charakterlichen Qualitäten ein. Der eromenes[2] hingegen, der Jüngere muss vor allem darauf achten, sich für seine Sehnsucht nach Anerkennung durch einen Älteren nicht all zu leichtfertig zu verkaufen. Geschenke – gerade solche von höchstem Glanz – haben immer ihren Preis, wenn dieser auch nicht immer sofort beglichen werden muss.
Einem besonders warmherzigen Lehrer-Schüler Verhältnis begegnet man in der antiken Philosophie. Hier handelte es sich um eine geistige Verbindung zweier Menschen, um den himmlischen Eros[3], wie ihn Sokrates nannte. Eine innige Liebe, die ihre Erfüllung weniger in der körperlichen Vereinigung findet, sondern vielmehr in der Verschmelzung zweier Verstandeswelten. Eine Seele in zwei Körpern,[4] deren Denken und Handeln in die gleiche Richtung geht, die von der gleichen Geisteshaltung beseelt sind. In der Idealvorstellung profitiert der Jüngere von der überlegenen Weisheit des Älteren; während der Ältere aus dem frischerem Geist des Jüngeren und – natürlich – aus dessen körperlichen Vorzügen seinen Nutzen zieht. Auch die Risiken in dieser Konstellation sind, denke ich, unschwer erkennbar. Erfüllt der Ältere seine Rolle in dieser Art der männlichen Partnerschaft mit Erfolg, schafft er sich früher oder später selbst ab. Der Tag ist vorhersehbar, an dem der Schüler seinen Lehrer übertrifft, an dem ihm dieser nichts mehr beibringen kann und zur Seite geschoben wird. Freilich, Sokrates war klug genug, um das Werben des nur nach Ruhm strebenden jungen Alkibiades zurückzuweisen.[5] Aber wer wollte es jenen, die mich zu diesen Zeilen inspirieren, vorwerfen, dass der eine wahrlich kein Sokrates ist und der andere schon gar nicht ein Alkibiades? Für den Schüler besteht nur eine große Gefahr, die ist allerdings nicht zu unterschätzen: Sein formbarer, noch unfertiger Verstand kann leicht zu einer Geisteshaltung verführt werden, dessen Inferiorität er noch nicht erfassen kann. Erkennt er in späteren Jahren diesen, in der Naivität seiner Jugend begangenen Fehler, ist es für ihn meist schon zu spät, seinen Sinneswandel glaubwürdig darzustellen.
Eine aufrichtige Liebe unter Soldaten – womit ich zu den Männerbündnissen beim Militär komme – war jene des Achilleus, des erfahrenen, mächtigen Kriegers zu seinem Patroklos, den er nur widerstrebend in die Schlacht ziehen ließ.[6] Während deren Liebe zueinander keinem Zweifel unterliegt, gab es in den griechischen und römischen Armeen etliche ähnliche Partnerschaften, bei denen unklar ist, inwiefern sie eine Zweckgemeinschaft oder eine Liebesbeziehung darstellten. Der ältere erfahrene Legionär beschützte den jüngeren im Kampf sowie vor den Avancen anderer Soldaten und er trainierte ihn in wehrsportlichen Übungen. Der Jüngere machte ihm dafür den Haushalt, stopfte seine Socken und erwies ihm nächtliche Gefälligkeiten. In diesem Fall ist es zunächst der gegenseitige Nutzen, der die beiden verbindet. Die Risiken einer derart gestalteten Partnerschaft sind ebenfalls evident: Der Jüngere muss darauf achten, sich einen Partner zu suchen, der ihn nicht vollkommen dominiert. Als schlanker, zarter Jüngling ist er seinem älteren, von vielen Schlachten gezeichneten Beschützer ohnehin körperlich unterlegen. Diesen Nachteil muss er durch Standhaftigkeit in anderen Belangen wettmachen. Er muss alles daran setzen, in dieser Beziehung, wie es so schön heißt, »auf Augenhöhe« zu gelangen. Für den Älteren gilt es, die Treue seines zukünftigen Partners richtig einzuschätzen. Dieser, jung und begehrt, könnte ihn jederzeit für einen anderen verlassen; diese Option hat der Ältere nur in stark eingeschränktem Ausmaß.
Dem Bündnis unter Männern, das uns nun bevorsteht, stehen die meisten in meinem Tümpel äußerst kritisch gegenüber. Eine gewisse Hoffnung liegt für viele darin, dass in beiden Lagern Bedenken in Bezug auf die »Ehe für Alle« existieren. So fest – hat es den Anschein – will man sich dann doch nicht binden. Und ihren Trost finden manche darin, dass aus dieser Beziehung wenigstens keine Kinder entstehen können.
[1] Der »Liebhaber«.
[2] Der »Geliebte«.
[3] Platon, Symposion, 9. Die Unterscheidung zwischen gewöhnlichem und dem himmlischen Eros bringt als erster Pausanias in das Gespräch ein. Für Sokrates ist Eros nicht das Streben nach Schönem, Wahrem und Gutem sondern dessen Hervorbringung, dessen Geburt.
[4] Diogenes Laertios, Leben und Lehre der Philosophen, 5, 20, Aristoteles: Zur Frage, was ein Freund sei, meinte er: »Eine einzige Seele, die in zwei Körpern wohnt.«
[5] Platon, Symposion, 30: Auftritt des betrunkenen Alkibiades, der in der Folge über seine Liebe zu Sokrates räsoniert, die dieser nicht erwidert.
[6] Homer, Ilias, XVI, 1-100.
© Tom F. Lange, 2017
In der Hoffnung, dem Meister nicht die via eminentiae froschlicher Sehschärfe zu vermiesen und rahmensprengend zu extemporieren, stürze ich mich in den posaischen Anschauungsunterricht (sofern solcher Unterricht, erteilt von einem unverbesserlichen Aushilfslyriker, nicht der Zensur der neuen österreichischen Lyrikmafia zum Opfer fällt).
Die Anschauung liebt das erschleckliche Fallbeispiel: Wenn also Herr Nicht-Alkibiades und Herr Nicht-Sokrates sich schon die Mühe machen wollen, im Rahmen einer soliden Feldforschung südlich des Brenners nach den kärglichen Spuren österreichischen Bewußtseins zu suchen und, falls überhaupt ausmachbar, diese Spuren valide zu beschreiben, dann empfehle ich den Herren aus Wien, Zeit zu sparen, also Meran und Bozen gleich ganz links liegen zu lassen (Franz Joseph I. und Franz Josef Strauß bleiben hier immer noch ununterscheidbar) und schnurstracks in die entlegendsten Täler und Winkel des ehemaligen Welschtirol (Trentino) zu reisen: Hier finden die geschichtsbewußten Geschichtsvergessenen dann und wann zumindest noch ein Wirtshaus, in dem an angemessenem Platze ein schönes Portraitbild von Cecco Beppe (Kaiser Franz Joseph I.) hängt. Und günstigstenfalls geraten die Herren aus Wien in die gesellige Runde liebenswürdiger alter Herren, die das Lob der guten alten Zeit singen, in der die Dinge noch so geordnet waren, daß Gott, der Herr, Cecco Beppe erhalten hat ‒ zum Wohle seiner Untertanen. Aus welchem Stoff wären die Träume der Kurz-Strache-Regierung, wenn diesen ehrwürdigen Angehörigen einer alttyroler Volksgruppe italienischer Muttersprache nicht die Möglichkeit eingeräumt würde, zusätzlich zur italienischen Staatsbürgerschaft die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben? Gleichwohl: Es steht zu befürchten, daß das Lob auf Cecco Beppe als Nachweis der Dignität des Antragstellers behufs Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft wohl kaum ausreichen dürfte ‒ vielleicht zwar gar ein notwendiger, gleichwohl nicht hinreichender Grund? Womit die (ganz unfroschliche) Katze sich einmal mehr in den (ganz unfroschlichen) Schwanz beißt. Ergo:
1. Wer stellt wem wozu etwas in Aussicht? Wer spricht bei wem wozu als Bittsteller oder Werber vor? Wer will mich wozu umarmen oder umgarnen? Die entscheidenden Fragen, um hierin die Geister zu unterscheiden, müssen also lauten: Wer? Wozu? Mit anderen Worten: Aus welchem Stoff sind die »Träume« der jüngsthin angelobten österreichischen Regierung, wenn »den Angehörigen der Volksgruppen deutscher und ladinischer Muttersprache in Südtirol« die Möglichkeit in Aussicht gestellt wird, »zusätzlich zur italienischen Staatsbürgerschaft die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben«? Der Geist, aus dem heraus die Kurz-Strache-Regierung Südtirolern den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft in Aussicht stellt, verhöhnt mein europäisch-humanistisches Selbstverständnis, depraviert den Geist europäischer Integration und verunglimpft auf dummdreiste Weise die Anstrengungen all jener, die an einem starken Europa bauen und alle Kräfte daransetzen, die unheilvollen Fesseln des (Ethno-)Nationalismus zu zerschlagen.
2. Die Petition einiger Südtiroler Volksvertreter, die den Koalitionsverhandlern in Wien überhändigt wurde, spricht vom »sehnlichen Wunsch vieler Südtiroler, die österreichische Staatsbürgerschaft als Zeichen ihrer Verbundenheit mit dem historischen Vaterland Österreich wiederzuerlangen«. Ein solcher »sehnlicher Wunsch« ist in keiner Hinsicht von der Lebenswirklichkeit und dem lebensweltlichen Erfahrungshorizont der heute in Südtirol und im ehemaligen Welschtirol lebenden Menschen gedeckt. Vor dem Hintergrund der Tatsache, daß ein »(alt)österreichisches Bewußtsein«, welches als ein Indikator für eine identitätsstiftende Verbundenheit (mit der Habsburgermonarchie?) gelten könnte, bei den allermeisten Südtirolerinnen und Südtirolern schlechterdings nicht ausmachbar ist, stellt der behauptete »sehnliche Wunsch« die papierene Projektion bzw. das Postulat einer als Patriotismus getarnten Denkungsart dar, die nationalistischen Wertewelten »freiheitlicher« Gesinnungsstuben entstammt und vornehmlich an den Stammtischen der entsprechenden Honoratiorengesellschaften ausgebildet wird.
3. Auf einem ganz anderen Blatt steht die Frage, ob EU-Bürgern (z. B. italienischen Staatsbürgern), die seit vielen Jahrzehnten in Österreich leben und arbeiten, eine angemessene Form politischer Partizipation eingeräumt wird (Wahlrecht). Darüber nachzudenken stünde der neuen österreichischen Regierung gut zu Gesichte stehen. Oder nicht? Wenn nicht, warum? ‒ Auf daß vom Geist europäischer Integration zumindest 35 Prozent Alkoholgehalt aus der schönen Wachau überbleibe! Wehret den Anfängen des Ungeistes!
Dass die Herren Nicht-Alkibiades und Nicht-Sokrates mit ihrer völkischen Beobachtung komplett daneben liegen, ist evident. Natürlich spürt man die Absicht und ist verstimmt. Der Vorschlag selbst verweist auf eine von Opportunismus nicht unbefleckte, freilich von Sachverstand gänzlich unbeleckte Empfängnis. Aber so sehr ich die Worte meines Vorredners schätze, eines sei Ihm nahegelegt: Die Ohren desjenigen, den Er erreichen will, mögen groß sein, aber erreicht werden muss das, was zwischen diesen liegt. Daher mein Rat: Verwende Er nur Begriffe aus dem Wörterbuch der Taferlklässler. Formuliere Er einfache, kurze (sic!) Hauptsätze. Vermeide Er Tiefsinn.
Dem, der sagt: „Die Fleissigen dürfen nicht die Dummen sein!“ halte ich entgegen: „Im Gegenteil: Die Dummen dürfen nicht die Fleissigen sein.“ Das ist viel gefährlicher. Hier schliesst sich der Kreis zum seligen Cecco Beppe, Franz Joseph I. Auf dessen berühmtes „Mir bleibt auch nichts erspart“ antwortete einer seiner ehemaligen Berater: „Falsch! Eines blieb ihm sein Leben lang erspart: Komplexe Sachverhalte zu erfassen.“
Gruß und Kuss
Sysiphus
Nicht zuletzt:
KURZ ist das Leben, LANGE die Kunst.
Nicht ganzzuletzt:
Im LANGE ist das Leben nicht KURZ.
(Gloria tibi, Rachel!)
Angesichts der kürzlich erfolgten Regierungsbildung bekommt der Begriff „Kurzschluss“ eine ganz neue Bedeutung.